Telefonterror – Über lästige Anrufe und Mittel zur Gegenwehr
Werbeanrufe am Telefon sind nicht nur lästig, sondern können auch unangenehme Folgen haben. Zeit, sich gegen unliebsame Telefonanrufe zu wehren …
Gerade stehe ich auf der Leiter in der Küche beim Streichen der Decke. Die Decke ist weiß, ich bin weiß, meine Klamotten sind weiß.
Es klingelt das Telefon. So ein Mist! Das könnte die Schule sein. Mein Sohn klagte heute Morgen über leichte Bauchschmerzen. Vielleicht ist es schlimmer geworden, und ich muss ihn abholen. Jetzt muss alles schnell gehen: Vorsichtig den Farbeimer in die eine Hand nehmen, die Farbrolle in die andere Hand, und dann ganz schnell, aber ohne hektische Bewegungen, die Leiter heruntersteigen. Bloß nicht stolpern, die Folgen wären fatal. Geschafft! Eimer zügig aber sanft abstellen, Farbrolle vorsichtig hinlegen, nichts verspritzen – verdammt, noch 3 Klingeltöne, dann geht der Anrufbeantworter ran. Der steht ein Stockwerk höher, dann kann ich hier unten im Erdgeschoss nicht mehr abheben. Jetzt aber nichts wie los. Ich bin inzwischen im Flur. Mist! Meine Schuhe. Ich blicke zurück und mein Verdacht bestätigt sich: Eine weiße Fleckenspur zeichnet meinen Weg auf den Holzboden – wie die Brotkrümel bei Händel und Gretel. Noch zwei Klingeltöne. Mit Gewalt reiße ich mir die Schuhe von den Füßen, ohne die Schnürsenkel zu öffnen. Schnell weiter, aber nicht ausrutschen. Ein Klingelton noch, jetzt muss ich ran. Ich schnappe den Hörer. »Hallo?«
»Guten Tag, spreche ich mit Herrn …?«, fragt eine mir unbekannte Frauenstimme. Mein Gott! Die förmliche Anrede startet sofort mein Kopfkino. Heute im Programm: Ein übler Film, bei dem ein kleiner Junge in ein Krankenhaus eingeliefert wird und um sein Leben ringt. »Ja«, bringe ich gerade noch mit erstickter Stimme heraus. »Schön, dass ich Sie erreiche, ich rufe an von der Telekraken-Kundenbetreuung. Wir haben festgestellt, dass Ihre Telefonrechnung zu hoch ist, weil Sie im falschen Tarif sind. Möchten Sie zukünftig bis zu 20 Euro monatlich sparen, Herr …?«
Nicht schon wieder! Ich hasse sie, diese Callcenter-Fuzzis. Deshalb habe ich jetzt also meine Arbeit unterbrochen, bin von der Leiter gestiegen, habe den Boden versaut und bin fast gestorben vor Schreck? Alle paar Wochen rufen sie an, weil wir nicht den teuersten Tarif haben. Behaupten, sie würden das nur tun, damit wir Geld sparen können. Wie selbstlos! Warum freuen sie sich nicht einfach über die Kohle? Und weil sie wirklich mein Bestes wollen, lassen sie sich auch nicht davon irritieren, dass ich Ihnen seit Monaten sage, dass ich keinen Tarifwechsel wünsche, so etwas niemals am Telefon machen werde und mir in Zukunft Anrufe dieser Art verbitte. Nicht einmal eine schriftliche Aufforderung zur Unterlassung der Anrufe hat geholfen. Die scheinen tatsächlich davon überzeugt zu sein, mich eines Tages weich zu kriegen.
Die Gespräche beginnen immer nach demselben Schema. Als Erstes kommen ein paar Fragen, die ich eigentlich nur mit »Ja« beantworten kann. Das soll mich einlullen, auch später leichter »Ja« zu sagen, wenn’s ans Eingemachte geht. Die Masche beginnt schon mit der Frage »Spreche ich mit …«. Diese Frage kommt grundsätzlich – auch wenn ich mich nicht mit »Hallo« melde, sondern mit meinem vollen Namen. Die zweite Frage ist heute, ob ich monatlich bis zu 20 Euro sparen möchte. »Nein, eigentlich nicht«, entgegne ich provozierend. Weil ich es heute eilig habe, beende ich damit auch das Gespräch. »Bis zum nächsten Mal.« Jetzt schnell die Flecken wegputzen, bevor die Farbe antrocknet.
Eigentlich kommen mir die Anrufer inzwischen nicht mehr so billig davon. Ich habe mir angewöhnt, die Anrufe nicht mehr nur zu ertragen, sondern im Rahmen meiner Möglichkeiten zurückzuschlagen. Ein wenig verbale Selbstverteidigung muss erlaubt sein. Dazu muss man zuerst einmal verstehen, wie so ein Callcenter funktioniert:
Ein Computer sucht aus einer Adressdatei nach clever programmierten Algorithmen bestimmte Personen aus und wählt deren Telefonnummer. Nicht selten wählen solche Computer mehrere Nummern gleichzeitig. Wer zuerst rangeht, wird mit einem Callcenter-Mitarbeiter verbunden. Alle anderen sind umsonst zum Telefon gelaufen. Den Betreibern ist’s egal. Schon bald wird es erneut klingeln. Der Callcenter-Mitarbeiter sieht an seinem Computer einen genauen Leitfaden mit Formulierungs- und Entscheidungshilfen, entsprechend derer er das Gespräch zu führen hat. Oft hört man geradezu, wie unerfahrene Mitarbeiter die Texte aus diesem Gesprächsleitfaden ablesen. In so einem Leitfaden stehen also zum Beispiel die ganzen Fragen drin, die ich mit »Ja« beantworten soll. Und es sind auch Reaktionen vorgesehen, falls ich mit »Nein« antworte.
Die Mitarbeiter werden oft massiv unter Druck gesetzt, pro Stunde eine gewisse Anzahl an Gesprächen zu führen und an Abschlüssen zu erzielen. Wer das nicht schafft, ist seinen Job schnell wieder los. Für die Unternehmen ist Zeit Geld. Je mehr Abschlüsse pro bezahlter Mitarbeiterstunde und Anruf, desto größer der Gewinn. Genau hier setzt meine Selbstverteidigungsstrategie an. Ich muss die Sache für das Unternehmen so unattraktiv machen, wie möglich. Ich muss das Unternehmen Geld kosten. Ich muss den Mitarbeiter möglichst lange hinhalten. Positiver Nebeneffekt: Während dieser Zeit kann er oder sie schon keine anderen Menschen übers Ohr hauen. Hierzu habe ich mir einmal eine Liste möglicher Strategien zusammengestellt, die jetzt neben meinem Telefon liegt:
- Leise den Hörer neben das Telefon legen, den Anrufer reden lassen und gehen.
- Genau nach dem Namen des Anrufers und des anrufenden Unternehmens fragen. Sagen, dass man sich das jetzt erst mal notieren müsse. Um einen Moment Geduld bitten. Unter Umständen auch noch nach der Postanschrift und nach der Website fragen.
- Fragen, woher das anrufende Unternehmen die Einverständniserklärung hat, überhaupt anrufen zu dürfen. (Dann wird allerdings oft sofort aufgelegt.)
- Wenn sich der Anrufer auf irgendein Gewinnspiel bezieht oder auf irgendwelche Unterlagen, die sein Unternehmen angeblich geschickt hat: Sagen, da müsse man einmal nachsehen. (»Dauert nur einen kleinen Moment, ich bin gleich wieder da. Bleiben sie bitte dran …«)
- Dem Anrufer selbst möglichst viele Fragen stellen. (»Ist bei Ihnen heute auch so ein scheußliches Wetter?« »Haben Sie auch Kinder?« »Junge oder Mädchen?« »Und wie alt?« …)
- Selbst ohne Unterlass irgendetwas erzählen (»Also meine Frau sagt ja immer …«, »Das war schon 1945 so, wissen Sie, ich war damals noch … und habe … und dann …«)
- Den Anrufer kritisieren und ihm »gut gemeinte« Tipps geben (»Also das, was Sie gerade gesagt haben, klang jetzt irgendwie wie vorgelesen. Sie sollten das natürlicher betonen. Zum Beispiel so: … Jetzt probieren Sie es noch einmal …«)
- Die deutsche Sprache nur unzureichend verstehen (»Nix verstehen. Meine Deutsch isse nix so gut.«)
- Probleme mit der Telefonleitung vortäuschen (»Können Sie das bitte noch einmal wiederholen? Ich kann Sie kaum verstehen.«)
- Schwer von Begriff sein und sich alles dreimal erklären lassen. Wenn der Anrufer dann mühsam alles dreimal wiederholt hat, sagen man müsse das erst einmal mit dem Partner besprechen.
Seitdem ich diese Liste habe, machen mir die Anrufe der Callcenter richtig Spaß. Aber es werden weniger. Eigentlich fast ein bisschen schade.
Wichtig:
- Keine Ausreden benutzen; darauf sind die Mitarbeiter vorbereitet.
- Niemals die eigene Kontonummer entlocken lassen (auch nicht »nur zum Abgleich« oder zu Ähnlichem).
- Nie dem Angebotenen zustimmen.
- Nie einer Aufzeichnung des Gesprächs zustimmen.
- Nie zustimmen, etwas zugeschickt zu bekommen – auch nicht »zur Ansicht« oder »kostenlos«.
- Nie mit der Trillerpfeife ins Telefon pfeifen oder Ähnliches. Das wäre vorsätzliche Körperverletzung und strafbar.
- Nie beleidigend werden oder Schimpfwörter gebrauchen. Auch hierfür könnte Sie der Anrufer anzeigen.
Oberstes Gebot bleibt immer, trotz allem freundlich zu bleiben und die Menschen am anderen Ende der Leitung nicht persönlich angreifen, sondern nur in ihrer Funktion als »Call-Center-Agent«. Aber Mitleid, ist meiner Meinung nach auch fehl am Platz. Hat jemand mit mir und meinen Farbflecken am Boden Mitleid? Nicht wirklich. Doch: ich! Ein wenig Selbstmitleid habe ich jetzt schon. Das dumme Zeug ist total in die Ritzen zwischen den Holzdielen gelaufen.
Nachtrag: Wenige Tage nach dem Anruf finde ich im Briefkasten eine »Auftragsbestätigung für Ihren neuen Telefontarif«. Jetzt ist das Maß voll. Zusammen mit dem Widerspruch schicken wir die Kündigung. Ihr habt es geschafft! Jetzt wechseln wir den Tarif. Und wir sparen bei der Konkurrenz tatsächlich Geld. Danke für den Tipp!